Es war ein bitterkalter und schneereicher Winter im Jahr 1957. Tage- und Nächtelang schneite es in meinem Internatsstädtchen, so dass die Fahrzeuge kaum mehr vorankamen, denn die Straßen konnten nur noch notdürftig geräumt werden. Die Schneemassen waren einfach zu viel. Für uns Kinder waren das jedoch paradiesische Zustände, denn wir konnten nach Herzenslust auf den Strassen herumrutschen.
Im Januar brach dann auch noch in Oettingen/Bayern die bitterste Kälte aus und die Minusgrade hielten wochenlang an. Die Sonne kam kaum noch durch, die dichten, tiefliegenden Wolken bildeten mit dem diffusen Tageslicht eine gespenstische Szene ab. Alles war dicht mit Schnee eingehüllt, wie mit Zuckerwatte verzaubert.
Wir Pensler hatten unseren Spass, konnten wir doch auf dem leicht abschüssigen Pens-Sportplatz eine lange glatte Rutschbahn betreiben. Und auf den überschwemmten und gefrorenen Wörnitzwiesen, die z. T. vom Schnee geräumt waren, tobten wir uns auf Schlittschuhen aus. Im Hofgarten war der Wassergraben und auch die Wörnitz mit dicken Eis bedeckt. Nur die ganz Mutigen wagten sich auf den Fluss, was natürlich auch verboten war.
So waren eines frostigen Nachmittag Werner T. und ich auf der zugefrorenen Wörnitz. Zuerst spielten wir nur Fangen in der Nähe des Flussbades. Dann aber verfolgten wir uns gegenseitig Wörnitzabwärts. Zuerst war ich vorne, weil ich der Stärkere war. Dann aber überholte mich Werner, weil er auf Eishockey-Schlittschuhen fuhr. Ich hatte nur die Schlittschuhe an meine Stiefeletten angeschraubt. Diese stammten noch von meinem Vater, er trug diese zu seiner Paradeuniform. Es waren meine einzigen Winterstiefel.
Werner und ich wurden immer schneller, weil die Wörnitz hier ein Gefälle hatte. In unserem Elan merkten wir gar nicht, dass wir in die Nähe der Unteren Mühle kamen. Plötzlich senkte sich das Eis vor Werner und dann brach er mit einem Satz nach vorne in das eiskalte Wasser ein. Da ich mittlerweile einige Meter hinter Tafel fuhr, konnte ich noch bremsen, so dass ich nicht einbrach.
„Was tun? Fragte ich mich voll Panik. Um Hilfe rufen ist zwecklos, denn die Müller können uns sicher nicht hören bei dem Lärm, den das Mühlrad machte.“ Nach einem Augenblick des Zauderns kam mir die richtige Idee. Ich zog meine Winterjacke aus und rutschte auf dem Bauch ganz sachte in Richtung des eingebrochenen Werner. In Panik strampelte dieser, brach dadurch immer mehr Eis ab und kam doch nicht von alleine hoch.
Kurz vor ihm, wo mich noch das Eis trug, schob ich ihm meine Jacke zu und hielt einen Ärmel dabei. Werner gelang es dann endlich den anderen Ärmel zu packen und ich zog ihn dann vorsichtig aus dem Wasser, wobei immer wieder etwas Eis abbrach. Endlich stand er patschnass und schlotternd wieder auf seinen Beinen und wir rasten die ganze Strecke auf dem Eis zurück bis zum Schwimmbad. Von dort mussten wir dann nochmals ca. 10 Minuten zu Fuss weiter eilen bis wir im Pens ankamen.
Werner musste sich ganz ausziehen, wurde von mir abgerubbelt und dann musste er ins Bett im warmen Krankenzimmer. Er bekam von der Köchin einen heissen Tee zum Aufwärmen. Am nächsten Morgen war er wieder fit und musste in die Schule. Die Hausmutter war froh über den glimpflichen Ausgang unseres Ausflug und so bekamen wir keine Strafe wegen unserer Übertretung des Verbotes auf der Wörnitz mit Schlittschuhen zu laufen.