74. Strenge Ordnung im Internat
Im Internat zu Oettingen herrschte eine Zucht und Ordnung, wie man sie sonst wohl nur beim Militär vermutet. Sechzig Knaben, zwischen zehn und achtzehn Jahren, verlangten nach strenger Führung – so hieß es zumindest. Für viele, vor allem für jene, die aus wohlbehüteten Elternhäusern kamen, war diese Disziplin eine Bürde. Mir jedoch war sie nicht fremd. Pfadfinderzeit in Ulm, Jungschar, und nicht zuletzt die Strenge meines Stiefvaters hatten mich früh an Härte gewöhnt.
Ordnung war das oberste Gebot. Jeder von uns besaß einen kleinen Schreibtisch im Lehrsaal, einen Schrank auf dem Kleiderboden und einen schlichten Hocker neben dem Bett. Diese Habseligkeiten wurden regelmäßig vom Heimleiter oder den Präfekten inspiziert. War der Schrank nicht mustergültig gefaltet, flog der gesamte Inhalt heraus. Die Kleider,nach dem Ausziehen, mussten dann auf dem Hocker millimetergenau zusammengelegt werden; auf dem Tisch durfte kein Fetzen Papier, kein Stift achtlos liegen bleiben.
Besonders gefürchtet waren die Montagnachmittage. Nach dem Mittagessen hieß es für die unteren Klassen: hinaus in den Hof, Sonntagskleidung reinigen. Bevor wir sie wieder in die Schränke hängen durften, kam die Kontrolle. Unser Hausvater, der „Specker“, ging mit Argusaugen vor. Mit spitzen Fingern stülpte er Hosenaufschläge um, und fast immer entdeckte er einen Staubkrümel, ein Körnchen Erde. Wer ertappt wurde, musste von Neuem hinaus und schrubben.
Auch die Schuhe waren ein Kapitel für sich. Schwarze Lederschuhe für den Sonntag – sie glänzten beim Ausmarsch, doch nach wenigen Schritten durch die Straßen, in Zweierreihen, war der Glanz dahin. Im Keller stand für jeden ein Fach bereit: Schuhe, Bürsten, Putzzeug. Montags mussten sie wieder blitzen, als wären sie neu vom Schuhmacher gekommen. Die Kontrolle folgte unweigerlich.
Das tägliche Waschen war eine Prüfung eigener Art. In den Schlafsälen standen die Waschbecken. Morgens wie abends traten wir an, mit nacktem Oberkörper, auch im Winter, wenn der Atem Wolken bildete. Das Wasser kam eiskalt aus der Leitung – Heizung gab es nicht. Manche der Kleineren verzweifelten daran.
„Die Kleinen“, das waren die Knaben der ersten bis dritten Klasse. Ihnen wurde am Samstag zwei Stunden Ausgang gewährt – Stadt oder Umgebung, mehr nicht. Die Älteren, Klassen vier bis sechs, hatten zusätzlich am Mittwochnachmittag frei. Doch gleich, ob klein oder groß: die Aufsicht wich uns nie. Von Sonnenaufgang bis Schlafengehen war jeder Schritt geregelt, jedes Tun beobachtet.
Im Gymnasium, war es nicht anders. Doch das ist eine andere Geschichte, für ein andermal.